Wie entstand das Gebäude? Gab es bereits vorher eine Kirche? Wer feierte hier Gottesdienste? War die Wende auch eine Wende für die Kirche?
Die alte Kirche

Wer heute über das Gelände rund um die Kirche in Thurau geht, der ahnt mit viel Fantasie, wie der Ort vor 100 Jahren ausgesehen hat. Alte Grabsteine, zugeschüttete Gruften, hohe Bäume und eiserne Kreuze sind dort zu finden. Wer seine Kindheit in Thurau verbracht hat, weiß noch vom alten Heizhaus, den Bleiglas-Fenstern und einem breiten Pfad, der zum Eingang der Kirche führte. Das eindrucksvolle, mit Klinkern verputze Gebäude ragt mit seinem 35 Meter hohen Turm weit sichtbar in das landwirtschaftlich geprägte Land.
Wie entstand das Gebäude? Gab es bereits vorher eine Kirche? Wer feierte hier Gottesdienste? War die Wende auch eine Wende für die Kirche?
Mit Hilfe des Buchs „Kunstdenkmale des Landes Anhalt Band 2“, den Zusammenstellungen des Thurauer Lehrers Helmut Dressler und Aufzeichnungen des Leiters der ABM-Maßnahmen ab 1997 Reinhardt Schmidt wollen wir einen Ausflug in die Geschichte der Thurauer Kirche unternehmen.
Gehen wir zurück in das Jahr 1370. In diesem Jahr wird der Ort erstmalig im Kirchenbann der Magdeburger Domprobstei erwähnt. Es ist davon auszugehen, dass damals schon eine Kirche im Ort gestanden haben muss. Ob es schon die Kirche auf der Fotografie eines alten Gemäldes ist, das sich im Besitz der Familie Rhode befindet, ist nicht mehr feststellbar.
Klar ist aber, dass es im Ort schon eine Kirche gab, als römisch-katholische Herren das geistige Leben in Europa bestimmten. In der ehemaligen Kirche predigten demnach katholische Geistliche für die Einwohner von Thurau und dem eingepfarrten Nachbarort Zabitz. Der Forscher Büttner war der Ansicht, dass im 16. Jahrhundert im Ort kein Kirchenbau mehr zu finden war. Dies steht jedoch im Widerspruch zur Tatsache, dass im Jahr 1777 neue Balken in der Kirche eingezogen worden sind und damit eine sehr brüchige Holzkonstruktion erneuert wurde. 10 Jahre später wurde auch eine neue Kanzel aufgestellt.
In dieser alten Thurauer Kirche haben im Verlauf der Jahrhunderte Katholiken und später Protestanten ihre Gottesdienste gefeiert. Anfangs war die Kirche sicherlich eine Pfarrkirche, weil der Pfarrer im Ort wohnte. Später wurde sie eine Nebenkirche, die von der Nachbargemeinden Kleinpaschleben und Großpaschleben verwaltet wurde. Im Jahre 1847 dürfte sie wieder selbständig geworden sein, da von diesem Zeitpunkt an wieder Kirchen-Rechnungsbücher existieren. Die Pfarrer wohnten wieder im Ort. Das beweisen die Unterlagen, aus denen hervorgeht, dass die Pfarrerskinder in der im Ort befindlichen Schule unterrichtet wurden. Es sind somit auch die Namen der Väter Dr. Finger und Pfarrer Müller bekannt. Auch spätere Geistliche sind in den Unterlagen erwähnt.
Zur Kirche gehört ein großes und geräumiges Pfarrhaus. Wann es erbaut worden ist, war bisher nicht in Erfahrung zu bringen. Auf einer Karte von Thurau, die 1854 von Woltze gezeichnet wurde, liegt das Gebäude von Grundstück Nr. 3 nicht auf dem heutigen Platz.
Die neue Kirche



Die jetzige Kirche wurde in den Jahren von 1884 bis 1888 erbaut. Die finanziellen Mittel stammten aus Reparationskosten, die Frankreich nach dem Deutsch-Französischen Krieg (Ende 1876) an Deutschland zahlen musste. In diesem Rahmen entstanden mehrere Kirchen in der Umgebung.
Das sehr großzügig angelegte Gotteshaus wurde im neugotischen Stil mit Kreuzrippengewölbe geplant und mit bunter Verglasung von zwei Fenstern in der Apsis errichtet. Um den Besuchern den Gottesdienst so angenehm wie möglich zu machen, wurde ein Heizhaus im Süden des Grundstücks errichtet.
Die Kirche ist ein Backsteinbau, der weit in der Umgebung sichtbar ist. Ursprünglich besaß die Kirche drei Glocken. Eine kleine, die 1929 von einer Firma im Allgäu aus Bronze gegossen wurde. Die große Bronzeglocke wurde 1888 bei der Fertigstellung der Kirche im 34 Meter hohen Turm aufgehängt. 1922 kam eine weitere Glocke aus Gusseisen dazu. Die beiden Bronzeglocken wurden während des 2. Weltkrieges eingeschmolzen. Um die größere von beiden aus dem Glockenturm zu holen, wurde auf der Westseite ein Fenster vergrößert. Das Loch ist noch heute sichtbar.
Die Reste der heutigen Orgel auf der Empore gehören zur dem 1888 eingebauten Instrument. Es stammt vom Orgelbaumeister Rühlmann und wurde von diesem auch eingebaut. Es war eine gute Orgel, die mit zwei Manualen und einem Pendal ausgestattet war. Der damals noch manuell betriebene Blasebalg befand sich im unteren Turmbereich. Er wurde nie elektrifiziert.
Die Glocken wurden von den Brüdern Schilling aus Zabitz handgeläutet. Heute gibt er nur noch einzelen Orgelpfeifen, die neben dem Orgelgehäuse liegen. Die Zerstörung begann mit der Aufgabe und dem Ausräumen der Kirchbänke, der Kanzel, die heute in der Kirche in Reppichau steht, und der beweglichen Innenausstattung durch die damalige Kirchengemeinde Köthen.
Die kleine Orgel der ehemaligen Kirche Thurau wurde wohl im Zuge der Baumaßnahmen 1883 ausgebaut. Sie wurde 1754 von Christoph Zoberbier in Köthen angefertigt. Diese verhältnismäßig kleine Orgel trat zunächst eine Reise nach Maxdorf an, wo sie bis 1915 in der Dorfschule stand. Von dort aus zog sie in das Heimatmuseum in Köthen um. Da diese gut klingende Orgel kleine Räume mit ihrem Klang auszufüllen vermag, steht sie jetzt in der Schlosskapelle des Köthener Schlosses.
Die meisten Thurauer Einwohner gehörten zu Beginn des 20. Jahrhunderts der evangelisch-lutherischen Kirche an. Das änderte sich schon während der nationalsozialistischen Herrschaft und setzte sich nach dem 2. Weltkrieg fort. Die ideologische Ausrichtung der neuentstandenen Deutschen Demokratischen Republik führte zu vielen Kirchenaustritten. Angestellte im Staatsdienst durften ihre Kinder nicht mehr konfirmieren lassen.
In den nächsten Jahren nahm der Einfluss der Kirche durch die atheistische Erziehung der Kinder und Jugendlichen in der Schule und den Jugendorganisationen und der Zunahme der sozialistischen Weltanschauung ab. Immer weniger Einwohner feierten die Gottesdienste in der Kirche. Am Ende der 1970er Jahre werden die Christenlehre und die Gottestdienste sogar in das Pfarrhaus verlegt.
Das immer seltener genutzte Gebäude wurde immer stärker beschädigt. Kinder und Jugendliche zerschossen mit ihren Schlappschleudern die Kirchenfenster – darunter auch die beiden farbigen Bleiglasscheiben in der Apsis. Die Orgel wurde stückchenweise demontiert und zerstört. Die Orgelpfeifen wurden herausgerissen und lagen teilweise im Gebäude und auf dem Gelände um die Kirche herum. Lampen wurden heruntergerissen und anderes Inventar zerbrochen. Die Dorfbewohner duldeten diesen Vandalismus oft gleichgültig.
Um 1970 herum fand die letzte Hochzeit in der Kirche statt und in den folgenden Jahren wurde das Gebäude als Stätte christlicher Begegnung aufgegeben. 1984 wurden die Kirchenbänke und die Kanzel im Auftrag des Kreisoberpfarrers aus der Kirche entfernt.
Immer wieder wurde die Kirche für besondere Ereignisse geöffnet. Es fanden einige kleine Konzerte, Besichtigungen und sogar eine Goldene Hochzeit statt. 1996 wurde der Friedhof, der sich rund um die Kirche befindet, durch eine ABM-Maßnahme freigelegt. Dabei wurden einige Grabsteine wieder sichtbar, die sich besonders auf der Westseite befinden. An der südwestlichen Seite des Kirchgartens befinden sich die Gruft der Familie Streuber, in der 1997 noch sieben Särge standen. Ebenfalls in diesem Areal liegt die Grabstätte der Familie Rhode. Aus dem Wunsch heraus, die Kirche zu erhalten, gründete sich 1997 der „Förderkreis Thurauer Kirche und Umgebung e. V.“ Trotz des großen Engagements der Mitglieder gelang es damals nicht, ein ausgereiftes Projekt für die Kirche zu entwickeln, so dass das Gebäude weiterhin im „Dornröschenschlaf“ lag.
Obwohl sich das eindrucksvolle Gebäude heute in einem bautechnisch schlechten Zustand zeigt, wirkt es immer noch sehr würdig.
Leider sind einige große und alte Bäume in den letzten Jahren der Trockenheit zum Opfer gefallen und mussten gefällt werden.
Gemeinsam mit der Kirchgemeinde Trinum, zu der die Kirche Thurau und die umliegenden Ländereien der Kirche gehören, wird mit der Hilfe eines neuen Fördervereins ein neuer Anlauf gestartet, das Gelände und das Gebäude einer neuen Nutzung zuzuführen.
Luftbilder
Luftbild vor 1928

Luftbild vor 1990
